ALSFELD, 26. August 2025. „Warum hat die Flächenagenturen keiner schon früher erfunden?“, hat Matthias Mähliß, Umweltplaner bei der DB InfraGO, auf dem Fachforum Naturschutz und Kompensation der Hessischen Landgesellschaft (HLG) in Alsfeld gefragt. Die Ökoagentur der HLG war, als sie 2006 an den Start ging, die erste in Deutschland. Die anderen Bundesländer sind dem Beispiel gefolgt. Heute gib es 43 Agenturen für Flächen- und Kompensationsmanagement in Deutschland. Mähliß verglich den Erfolg der Kompensation von Eingriffen in die Natur für die Eisenbahnneubaustrecken Frankfurt-Köln aus den 1990er Jahren, und die Planungen für die Kompensation für die Neubaustrecke Frankfurt Mannheim. Bei der Strecke Frankfurt-Köln sei „alles schiefgelaufen“, weil die Flächen für die geplante Kompensation nach dem Bau der Bahnstrecke vielfach nicht verfügbar gewesen seien. 80 Prozent der geplanten Kompensationen seien hinfällig gewesen. Daraus habe die Bahn gelernt und die Kompensation für den Neubau der Strecke Frankfurt-Mannheim lange vor der konkreten Streckenplanung begonnen. Die Ökoagentur der HLG sei von Beginn der Planungen für Südhessen der Partner der Bahn. Auch die Gesetzgeber haben nach Mähliß Worten unterdessen die Grundlagen für die Kompensation verbessert. Mähliß mahnte, früh und großflächig die Kompensation zu planen, zumal die Flächen für die Kompensation knapp seien. Der Bedarf an Ausgleichsflächen übertreffe den Flächenbedarf für einen neuen Verkehrsweg meist um den Faktor zehn. Mähliß forderte, ausgehend vom Bedarf an Flächen aus dem Bundesverkehrswegeplan und dem Bedarf für Energietrassen, den Bedarf an Kompensationsflächen abzuleiten und auf die Deutschlandkarte zu projizieren. Allein die Veranschaulichung dieses enorm großen Flächenbedarfs veranschauliche, wie unverzichtbar eine frühzeitige, strategische und großräumige Flächenakquise sei, die von der HLG beispielhaft geleistet werde.
Unter dem Titel „Naturschutz und Kompensation – Heute und in Zukunft“ veranstaltete die Hessische Landgesellschaft (HLG) ein von nahezu 250 Interessierten besuchtes Fachforum. Das Fachforum brachte Expertinnen und Experten aus Verwaltung, Planung, Landwirtschaft und Naturschutz zusammen. Diskutiert wurden neue Ansätze für eine zukunftsfähige Kompensationspraxis – von Flächenagenturen über Bibermanagement bis zur Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft anhand erfolgreicher Praxisprojekte. Die HLG sowie Partnerinstitutionen präsentierten ihre Erkenntnisse aus Großprojekten, langjähriger Kompensationspraxis und innovativen Ansätzen zur Beschleunigung von Planungsverfahren.
Flächenagenturen – Baustein für mehr Natur- und Biotopverbund
Referent Matthias Mähliß, DB InfraGO: Ein zentrales Thema war die Rolle von Flächenagenturen. Unter dem Motto „Warum hat die keiner schon früher erfunden?“ wurde das Potenzial dieser Institutionen für die effiziente Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen hervorgehoben. Deutlich hervorgehoben wurden Chancen, die sich für Natur und Biotopverbund ergeben, wenn gebündelte Steuerung und Flächenmanagement zentral koordiniert erfolgen.
Wie die Umsetzung von Kompensationsmaßnahmen in der Praxis funktioniert erläuterten Mitarbeitende der HLG, des HMLU, des RP Gießen und von Hessen Mobil
Ein Kernpunkt dabei lag auf den Hindernissen in der aktuellen Genehmigungspraxis: Zögerliches Behördenverhalten und eine mangelhafte Abarbeitung naturschutzrechtlicher Vorgaben verzögern oft dringend notwendige Kompensationsmaßnahmen. Die Vorträge spannten den Bogen von strukturellen Hürden hin zu konkreten Aussichten, die sich durch vorausschauende Planung und professionelle Umsetzung ergeben.
Bibermanagement – zwischen Artenschutz und Praxis
Der Bibermanager widmete sich einem speziellen Beitrag. Anhand eines Reviers im Landkreis Gießen wurde aufgezeigt, wie durch Flächentausch und Kompensationsmaßnahmen Konflikte entschärft und zugleich wertvolle Lebensräume erhalten werden können. Der Vortrag betonte die Schlüsselrolle des Flächenmanagements im Umgang mit dieser ökologisch bedeutsamen Art und zeigte Kompromisslösungen aus der Praxis.
Straßenbau & Kompensation – Ein Beispiel für integriertes Handeln
Am Beispiel des Straßenbaus wurde gezeigt, wie die Verwaltung langfristiger Kompensationsmaßnahmen gelingen kann. Die HLG übernimmt hier die Organisation: Flächen werden ermittelt, gesichert, Pflegeverträge abgeschlossen und Maßnahmen langfristig betreut. Durch die ministeriell beauftragte Bevorratung vorlaufender Kompensationsmaßnahmen mittels Ökokonten – auf landeseigenen Flächen der hessischen Straßenbauverwaltung – kann die Planung deutlich beschleunigt werden. Diese Flächen dienen dem Ausgleich von Straßenbauprojekten.
100 Wilde Bäche für Hessen – Für lebendige Gewässer
Auch die Landesprogramme „100 Wilde Bäche für Hessen“ und „Gewässermanager“ wurden vorgestellt. Ziel dabei ist es, mit Unterstützung der HLG Kommunen zu befähigen, Fließgewässer in einen naturnahen Zustand zu versetzen. Hierdurch sollen zentrale Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden. Ausgebildete Gewässermanager begleiten die Maßnahmen vor Ort – ein Modell, das über Hessen hinaus Schule machen könnte.
20 Jahre Ökoagentur – vom Einzelprojekt zur Naturschutzinstitution
Ein weiterer Höhepunkt des Fachforums war der Rückblick auf 20 Jahre Ökoagentur. Der Vortrag zeichnete die Entwicklung dieser verankerten Ausgleichsagentur nach: Was einst als „One-Man-Show“ begann, ist heute ein moderner, leistungsfähiger Naturschutzdienstleister an zwei Standorten. Die Ökoagentur der Hessischen Landgesellschaft mbH bietet heute weit mehr als den klassischen Verkauf von Ökopunkten – das wurde eindrucksvoll durch Projektbeispiele belegt.
Als Pionierin der Branche legte die Ökoagentur für Hessen den Grundstein für eine Entwicklung, der inzwischen über 40 Flächenagenturen bundesweit folgten. Sie sind heute im Bundesverband der Flächenagenturen in Deutschland (BFAD) organisiert – ein starkes Netzwerk, das gemeinsam Standards setzt und für Qualität in der Kompensationspraxis steht.
Unter dem Motto „Naturschutz braucht Kröten“ wurde verdeutlicht, dass ökologischer Erfolg ohne finanzielle Langfristigkeit kaum möglich ist.
Der Vortrag warf zugleich einen Blick in die Zukunft: Die kommenden zehn Jahre stellen die Ökoagentur vor immense Herausforderungen. Großprojekte der Energiewende – wie Windkraftausbau, Flächenverbrauch durch Photovoltaikanlagen oder neue Energieleitungen – sowie der Ausbau von Bahn und Straße erzeugen einen gewaltigen Bedarf an Kompensationsflächen. Zusätzlich verlangt die geplante EU-Wiederherstellungsverordnung die Ausweisung großer Flächen für den Naturschutz.
All diese Anforderungen treffen auf einen begrenzten Flächenpool. Der Vortrag schloss mit einem klaren Appell: Eine umfassende Landesstrategie zur Flächennutzung und Kompensation ist dringend erforderlich.
Landwirtschaft und Naturschutz sind keine Gegensätze
Abgerundet wurde das Fachforum durch den Vortragenden Volker Lein, Hessischer Bauernverband: Landwirtschaft und Naturschutz sind keine Gegensätze, sondern Partner, die gemeinsam zur Erhaltung und Entwicklung unserer Kulturlandschaft beitragen können. Notwendig ist eine institutionelle Gleichstellung beider Bereiche, praxisnahe Beratung sowie die Förderung wirtschaftlich tragfähiger, kooperativer Modellprojekte.
Das Spannungsfeld zwischen intensiver Landwirtschaft und Naturschutzanforderungen stellt beide Seiten vor Herausforderungen – etwa bei der Flächennutzung oder der Artenvielfalt. Entscheidend für eine zukunftsfähige Entwicklung ist der Fokus auf Flächeneffizienz: Wie viel ökologischer und wirtschaftlicher Nutzen kann pro Fläche erreicht werden?
Ein vielversprechender Ansatz ist der produktionsintegrierte Naturschutz – freiwillig, praxistauglich und ressourcenschonend. Damit solche Maßnahmen greifen, braucht es angemessene finanzielle Ausgleiche für Landwirte, die Biodiversität, Umwelt und Klima schützen.
Langfristig braucht es einen neuen Gesellschaftsvertrag – für eine nachhaltige Agrarpolitik, getragen von Respekt, Verständnis und echter Partnerschaft zwischen Landwirtschaft und Naturschutz.